Chronik Musikverein Hottingen
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Der Anfang

Das kleine Dorf Hottingen, beschaulich an den Ufern der Murg gelegen, erlebte vor 100 Jahren eine spannende Zeit. Der Hotzenwald befand sich nach Jahrzehnten, die geprägt von Armut und Auswanderung waren, mitten im Umbruch. Die Menschen auf dem Wald strebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer neuen Zeit entgegen. Erstes sichtbares Zeichen für die Leute waren damals die Strommasten der „Waldelektra“. Diese „Kraftabsatzgenossenschaft“ war 1903 in Görwihl gegründet worden. Mitglieder waren Gemeinden, Fabriken und Hausweber. Die „Waldelektra“ versorgte unter anderem jene Dörfer, die heute die Gemeinde Rickenbach bilden, mit elektrischem Strom des Kraftwerks Rheinfelden. So schrieb die Heimatzeitung „Alb Bote“ am 25. Februar 1908 in einem Bericht: „Die Anwendung der Elektrizität auf dem Hotzenwalde“ über die Einführung des Stroms bei den „Hotzenwäldern, die so zäh am Althergebrachten hielten und jede Neuerung von vornherein als einen unberechtigten Eingriff in ihre privilegierten Rechte hielten“. Das elektrische Licht sei „wohl die schönste und bequemste aller Beleuchtungsarten.“ Der Verfasser betonte: „Wer jemals ein elektrisches Bügeleisen benutzt hat, möchte ein solches nicht mehr vermissen.“ Den nächsten Schub erhielt Hottingen 1906. Im Süden des Dorfes war eine Filiale der Spinnereien und Webereien der Zell-Schönau AG errichtet worden. Die Fabrik sollte den Bewohnern des Dorfes und der umliegenden Gemeinden über Jahrzehnte hinweg Arbeit geben. Zwei Jahre später ging das mächtige Kraftwerk an der Murg, unterhalb der Schlagsäge ans Netz. Es sollte mit seinem Strom nicht nur die Hottinger Webstühle in Schwung bringen. „Mög dies Werk den Stürmen trotzen und Segen bringen allen Hotzen“, steht noch heute in großen Lettern im Maschinenraum oben an der Wand geschrieben. Mit der neuen Arbeit kamen neue Menschen ins Dorf – und neue Ideen. Der Überlieferung nach waren es die Herren Simon aus Todtmoos und Wassmer aus Niederwihl, die in jenen Tagen den Anstoß gaben, in Hottingen einen Musikverein zu gründen. Offizielle Protokolle über die Gründung gibt es nicht. Unterlagen des Vereins existieren leider erst ab dem Jahr 1927.
Wassmer und Simon begeisterten im Frühjahr 1908 zwölf junge Männer für das Musizieren. Gründungsmitglieder des Musikvereins Hottingen waren neben den Herren Simon und Wassmer die Musikkameraden Alfred Bächle, Fridolin Burger, Alfred Gerspach, Johann Käser, Josef Käser, Leopold Metzger, Emil Schlageter, Johann Schlageter, Josef Schlageter, Johann Thoma sowie Emil Wehrle und Josef Wehrle. Die nötigen Instrumente mussten die jungen Musiker selbst bezahlen. Erworben wurden sie beim Musikhaus Hug in Basel. Erstmals wird die „Musikgesellschaft Hottingen“ am 22. Juni 1908 in der Zeitung erwähnt. Wie der Waldshuter Alb Bote damals berichtete, gestalteten die Hottinger Musiker gemeinsam mit dem Ende März wiedergegründeten Musikverein Rickenbach (Alb Bote vom 1. April 1908) die Fronleichnamsprozession am 18. Juni. „Von schönstem Wetter begünstigt wurde die Fronleichnamsprozession abgehalten. Bei derselben spielte die wieder gebildete Musikkapelle (Rickenbach, d. Verf.) erstmals... Auch die Musikgesellschaft Hottingen hatte sich mit dem Feuerwehrverein eingefunden, so dass es an Musik nicht fehlte...“ Am gleichen Abend wurde übrigens im „Engel“ der Radfahrerverein Rickenbach aufgelöst. „Der Kassenvorrat von 20 Mark wurde dem Musikverein überwiesen, was bei demselben auch dankbare Anerkennung fand“, schrieb der Alb Bote.

 


Das älteste Bilddokument aus den Jahr 1911 vor der damaligen Restauration Bächle. (Heute Alte Braue)


Ein weiterer Beleg für die Tätigkeit des Musikvereins Hottingen findet sich im Alb Bote vom 3. Juli 1908. Angekündigt wurde die Primiz von Pfarrer Hofmann, dem Bruder des damaligen Rickenbacher Bürgermeisters Joseph Hofmann. In der hiesigen Pfarrkirche lad er seine erste Heilige Messe. Das Hauptfest, sollte „am Abend im Garten des Herrn Adlerwirtes stattfinden.“ Dabei werden, so der Alb Bote damals in seinem Vorbericht, „die verschiedenen Vereine, Kirchenchor, Männerchor Altenschwand, Musikverein Rickenbach, Musikverein Hottingen, Stücke vortragen.“



In Hottingen war in jenem Jahr noch einiges geboten, wie uns ein Blick ins Archiv des Alb Bote in Waldshut verrät. So findet sich am 19. Februar 1908 die Notiz, dass „ein Geschoss mit zweimaliger Explosion und verstellbarer Zündschnurschraube für frühere oder spätere zweite Zündung von Herrn Siegfried Hoffmann hier erfunden und als Gebrauchsmuster beim Patentamt angemeldet“ wurde. Schon im April meldete die Zeitung, dass ein Vertreter der Firma Krupp aus Essen bei Hoffmann vorstellig geworden war. Die Erfindung sei einzig dastehend und bis jetzt unerreicht, wurde Hoffmann von dem Industriellen beschieden. Ende April gab es schlimme Nachrichten aus Hottingen. In den Vormittagsstunden des 26. April, so der Alb Bote, brannte das Wohn- und Ökonomiegebäude des Landwirts und Stuhlläufers Friedrich Sutter bis auf den Grund nieder. „Bewohner und sämtliches lebendes Inventar“ seien in Sicherheit gekommen, ist zu lesen: „Der Feuerwehr, welche rasch zur Stelle war, gelang es, die ziemlich nahe stehenden Strohhäuser zu schützen. Brandursache bis jetzt unbekannt. Der Abgebrannte ist versichert“, war die Zeitung beruhigt. Mitte Mai tagten an einem Sonntag in der „Sonne“ in Hottingen „ca. 300 Interessenten des Bahnprojekts St. Blasien, Ibach, Todtmoos, Herrischried, Hottingen, Rheintal.“ In der Tat wurde seit 1901 gefordert, dass eine so genannte Hotzenwaldbahn gebaut werden solle. 35 Gemeinden unterstützten das Projekt. In der Hottinger Versammlung sagte sogar der Landtags- und Reichstagsabgeordnete Birkenmayer aus Waldshut seine Unterstützung zu: Er sei von der Notwendigkeit der Bahn und von deren Rentabilität überzeugt. Zudem sei es wichtig, so Birkenmayer, dass die Hotzenwaldbahn an die bereits genehmigte Bahnlinie „Titisee – St. Blasien“ anschließe. Diese Strecke wurde bekanntlich ebenso wenig gebaut, wie die geplante Hotzenwaldbahn. Noch im Jahr 1908, so ist in der Gemeindechronik Rickenbach zu lesen, lehnte der Badische Landtag den Bau ab. Dennoch war das Projekt nicht aus den Köpfen verschwunden. 1910 gab es eine abgespeckte Version einer Ringbahn „Säckingen – Herrischried – Görwihl – Albbruck“. Der 1. Weltkrieg machte derartige Pläne aber zunichte.

Zum Schmunzeln regt eine Meldung vom 28. August an. Hier wird aus Bergalingen berichtet, dass der Friedenwirt Huber beabsichtigt, im kommenden Jahr eine Speisehalle zu bauen, „da seine Lokalitäten im Sommer dem enormen Fremdenverkehr kaum mehr gewachsen sind.“ Geplant war von Huber seinerzeit auch eine „Badeanstalt mit Dusche und Moorbad“ in Bergalingen. Und in Egg, so steht’s im gleichen Bericht, sollte damals ein „Landeplatz für Luftschiffe“ entstehen.

1908 war also ein spannendes Jahr für Hottingen und seinen jungen Musikverein. Der taucht am 30. Dezember erneut in der Zeitung auf. Angekündigt wurde für den Neujahrstag eine „Christbaumfeier des Kriegervereins in der „Sonne“ unter Mitwirkung der hiesigen Musik.“ Was ging 1908 noch in der Region und der großen weiten Welt? In den Städten Laufenburg, Tiengen und Säckingen wurden Fußballvereine gegründet, die in diesem Sommer ebenfalls ihren „Hunderter“ feiern. Im Sommer 1908 verstarb in Säckingen der Fabrikant Otto Bally, der als Mitbegründer der Textilindustrie am Hochrhein gilt. Im Alter von 76 Jahren verstarb am 9. Januar der Dichter und Maler Wilhelm Busch, im Sommer verstarb Antoine Henri Becquerel, der die Radioaktivität entdeckt hat.

Geboren wurden 1908 der Regisseur Helmut Käutner, Dirigent Herbert von Karajan, der Elektronikkonzern-Gründer Max Grundig, Komponist Franz Grothe (Mitternachtsblues, In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine) und Lyndon B. Johnson, der Nachfolger von John F. Kennedy als US-Präsident. 1908 durften Frauen erstmals in Parteien und Gewerkschaften eintreten, zudem wurde in jenem Jahr von Melitta Bentz der Kaffeefilter erfunden. Maggi brachte in Singen den ersten Brühwürfel auf den Markt und in der Schweiz wird die erste „Toblerone“ hergestellt.

 

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